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Interview mit der Opferschutzbeauftragten zum Thema: Der Weiße Ring - Ehrenamt als Hilfestellung


Der Weiße Ring wurde 1976 von dem Fernsehjournalisten Eduard Zimmermann, der auch die Sendung XY...ungelöst erfunden hat, in Mainz gegründet. Seine Idee war, Opfer von Straftaten zu unterstützen und Verbrechen zu vermeiden. Die Redaktion im Gespräch mit der Opferschutzbeauftragten D. L..

Was sind die Aufgaben des Weißen Rings?
DL: Die wichtigste Aufgabe der Mitarbeiter ist es, den Menschen, die Opfer von Straftaten geworden sind, zu helfen. Viele Opfer sind oft nicht in der Lage, von sich aus Hilfe zu suchen. Dann kann ihnen die Polizei mit Ansprechpartnern vom Weißen Ring behilflich sein. Zuallererst erfolgt immer ein Gespräch. Wir müssen herausfinden, was demjenigen, der Hilfe sucht, als erstes weiterhelfen könnte. Das ist nicht so einfach, weil es vielen schwer fällt, über das, was sie erlebt haben, zu reden. Je nachdem, was nötig ist, kann den Hilfesuchenden anwaltlicher oder psychologischer Beistand vermittelt werden. Hierfür können die Kosten übernommen werden. Zur Überbrückung tatbedingter Notlagen kann es finanzielle Unterstützung geben. In bestimmten Fällen können Erholungsmaßnahmen für Opfer und ihre Familien erfolgen. Wir gewähren Beistand und persönliche Betreuung nach der Straftat. Wir übernehmen Beerdigungskosten und Kosten für eine Tatortreinigung. Mit solchen Kosten können Opfer von Straftaten überfordert werden, nicht nur finanziell. Wir begleiten Kriminalitätsopfer zu Terminen bei Polizei, Gerichten und der Staatsanwaltschaft und geben Hilfestellung beim Umgang mit den Behörden. Wir helfen ihnen bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz, von dem viele Geschädigte und sogar die Anwälte meistens nichts wissen. Wir sind an Präventivmaßnahmen in Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden beteiligt. Zu unseren Aufgaben gehören auch Verbrechensprophylaxe durch Sozialisation und Resozialisierung, das heißt Betreuung von Personen, die Straftaten begehen könnten.
Die Idee von Eduard Zimmermann war, ein stärkeres gesellschaftliches Bewusstsein für die Situation von Kriminalitätsopfern zu schaffen. Vielfach können Geschädigte ihren Anspruch nicht durchsetzen, weil ihnen das Geld dafür fehlt. Gerade bei jugendlichen Straftätern ist es schwierig, Schadensersatz oder Schmerzensgeld für den Geschädigten zu erhalten, weil die Jugendlichen meistens kein Geld haben. Es ist erwiesen, dass bei jugendlichen Tätern ein erzieherischer Wert erfüllt wird, wenn er erkennen muss, dass er den Schaden bei seinem Opfer wiedergutzumachen hat.

Was sind die größten Schwierigkeiten in der Arbeit mit den Opfern? Müsst Ihr oft gegen Scham ankämpfen, weil die Menschen sich nicht trauen, alles zu sagen? Wie geht Ihr damit um?
DL: Wichtig ist, wie so oft im Leben, der erste Eindruck. Es hat viel mit Sympathie zu tun, ob sich ein Mensch öffnet oder nicht. Wenn die Chemie nicht stimmt, gibt es die Möglichkeit, einen anderen Mitarbeiter zu wählen. Entscheidend ist auch der Einstieg in das Gespräch. Es ist gut, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Die Mitarbeiter, die sich für diese Tätigkeit entscheiden, sollten Empathie und Rücksichtnahme üben und ihre eigene Person, gar die Neugier, nicht in den Vordergrund stellen.

Wie ist die Akzeptanz des Weißen Rings in der Gesellschaft? Gibt es Gegenwehr?
DL: Wir sind oft bei öffentlichen Veranstaltungen, zum Beispiel bei Bundesligafußballspielen im Olympiastadion, durch Infostände in Zusammenarbeit mit der Polizei vertreten. Kürzlich waren wir spätabends in der Kulturbrauerei unterwegs und haben mit den dafür zuständigen Polizeibeamten Infomaterial verteilt und aufgeklärt. Dort ist es in letzter Zeit wieder häufiger zu Körperverletzungen gekommen. Auch sind wieder verstärkt jungen Frauen und Mädchen sogenannte "K.o.-Tropfen" in Getränke gefüllt worden, um sie gefügig zu machen. Das Publikum ist uns gegenüber bisher immer bei allen Veranstaltungen aufgeschlossen gewesen. Manche waren dankbar für den Hinweis, dass es uns gibt, weil sie nichts von der Existenz dieser Einrichtung wussten.

Der Weiße Ring ist durch ehrenamtliche Mitarbeiter und Helfer organisiert. Ist es schwierig, Menschen für das Ehrenamt zu gewinnen?
DL: Oh ja, in unserer heutigen Zeit fragen doch viele erst einmal, wie viel bekomme ich dafür, wenn ich das und das tue? Das ist ja menschlich. Es ist auch nicht immer leicht, Zeit für die vielen Aufgaben zu finden. Und man muss auch eine gewisse Einstellung zu Menschen in Not haben. Da ich Christ bin, sehe ich meine Aufgabe auch als einen Akt der Nächstenliebe. Einem Menschen, der durch jemand anderen zu Schaden gekommen ist, das Gefühl zu vermitteln, du bist nicht allein, ist ein gutes Gefühl. Ich bitte unseren himmlischen Vater immer um seinen Beistand und die richtigen und passenden Worte, wenn ich mit einem Opfer in Kontakt trete.

Wie finanziert sich der Weiße Ring?
DL: Wir sind ein gemeinnütziger Verein, der sich durch Spenden und Mitgliedsbeiträge trägt. Wenn zum Beispiel ein Angeklagter eine Geldbuße oder eine Geldstrafe erhält, dann können diese Summen an Vereine oder andere Einrichtungen fließen, so auch an den Weißen Ring. Das entscheidet das Gericht. Es kommt auch vor, dass der Weiße Ring testamentarisch bedacht wird. Auch Stiftungen überweisen Gelder. Wir erhalten keine staatlichen Zuschüsse.

Wie bist Du auf den Weißen Ring aufmerksam geworden und wie gehst Du mit den Problemen persönlich um?
DL: Ich kenne die Institution schon länger aus meiner früheren Tätigkeit als Justizbeamtin. Ins Gedächtnis wieder gekommen ist sie mir im letzten Jahr. Da war ich im Rahmen meiner Schöffentätigkeit in einer Jugendstrafkammer damit konfrontiert. Die junge Angeklagte, die sich einer schweren Straftat schuldig gemacht hatte, rührte mich zutiefst, und mir wurde klar, dass man auch als Täter ein Opfer werden kann. Kurz danach erhielt ich durch Zufall eine Broschüre des Weißen Rings. Da ich durch den Wegfall meiner Berufstätigkeit nun über mehr Zeit verfüge, widme ich diese gerne den Menschen, die meine Hilfe brauchen.
Wir Mitarbeiter tauschen uns durch Gruppengespräche aus, um auch den Kopf wieder frei zu bekommen. Auch werden Seminare und Supervisionen angeboten. Jeder von uns, der selbst Hilfe braucht, um die Probleme anderer lösen zu helfen, bekommt auch Rat und Hilfe.

Was würdest Du Dir für Deine Arbeit und die Organisation für die Zukunft wünschen?
DL: Am liebsten wäre es mir, wenn wir überflüssig werden würden; wenn keine Straftaten mehr verübt und dadurch Menschen zu Schaden kommen würden. Das wäre der Idealzustand. Aber schon zu Zeiten von Adam und Eva hat es Verbrechen gegeben, denken wir nur an den Brudermord. Solange es Menschen gibt, wird es Verbrechen geben. Ich wünsche mir, dass wir Menschen achtsamer miteinander umgehen, die Schwachen unterstützen, Hilfesuchenden Trost und Hilfe zuteilwerden lassen, aber auch die nicht bedingungslos verurteilen, die Schaden angerichtet haben. Für unsere Organisation wünsche ich mir, dass sich mehr Helfer zur Verfügung stellen, damit die viele Arbeit auf mehrere Schultern verteilt werden kann.


Weißer Ring

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30.08.2017
Redaktion / T.C.G.
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