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Interview mit unseren Vorsteher(n)


Redaktion: Lieber Marcus, deine Beauftragung zum Vorsteher liegt im Vergleich zu deinem „Mitvorsteher“ noch nicht so lange zurück. Was waren damals deine ersten Gedanken, als man dir offenbarte, dass du der neue Vorsteher werden sollst?

Marcus Wieczorreck: Ich hatte wirklich gehofft, dass es mein Mitevangelist oder ein Dritter wird. Wir sind ja beide zu diesem Zeitpunkt erst ca. 1,5 Jahre im Evangelistenamt gewesen. Als die Nachricht kam, hat das natürlich eingeschlagen wie eine Bombe, besonders in unserer Familie. Wir konnten uns zuerst gar nicht vorstellen, dass die zusätzliche Aufgabe überhaupt noch bewältigt werden kann, neben Beruf, Familie und den sonstigen Aufgaben in der Kirche. Dazu kommt, dass es mir lieber ist, im Hintergrund meine Arbeit zu machen und nicht ständig im Rampenlicht zu stehen. Wir haben uns die Entscheidung auch nicht leicht gemacht und erst nach einer Bedenkzeit zugestimmt.

Redaktion: Hattest du Vorstellungen von den vielfältigen Themen, die auf dich zukommen? Und haben sich diese Vorstellung bewahrheitet oder ging alles in eine gänzlich andere Richtung?

Marcus Wieczorreck: Nein, überhaupt nicht. Es gibt ja keinen Handlungsleitfaden oder Seminare, durch die man auf dieses Amt vorbereitet wird, man muss letztendlich irgendwie hineinwachsen. Mein Amtsvorgänger hat in seiner Weisheit auch nicht ständig Details aus seiner Arbeit an mich weitergegeben, was er aber ganz sicher gemacht hat, ist, für mich zu beten – und das ist schon angekommen. Am Anfang der Amtszeit wird man noch geschont, für Segenshandlungen oder die Spendung der Heiligen Wassertaufe kam dann oft ein Bezirksamt. Diese Schonphase endet dann aber doch schneller als einem lieb ist. In einer großen Gemeinde wie Schöneberg, in der regelmäßig Taufen und Segenshandlungen stattfinden, ist das dann schon eine echte Herausforderung. Aber wenn der Glaube der Geschwister und die Kraft des Heiligen Geistes in einer geheiligten Atmosphäre zusammentreffen, wird der Segen Gottes wirksam werden. Große Gemeinde bedeutet natürlich auch viele Themen, die zu bearbeiten sind. Ich bin aber sehr froh, dass ich in der Gemeinde eine breite Unterstützung habe, angefangen vom Evangelisten, über die Priester und Diakone, und durch die Beauftragten und die vielen Mithelfenden aus der Gemeinde. Aufgrund der guten Zusammenarbeit und dem Willen vieler, diese Zusammenarbeit weiterzuführen und zu vertiefen, ist es möglich, die vielfältigen Themen anzugehen und in der Regel auch zu bewältigen.

Redaktion: Lieber Bernd, auch wenn die Gemeinde Wilmersdorf anzahlmäßig vielleicht nicht ganz so groß ist wie Schöneberg, dein Erfahrungsschatz als Vorsteher ist dafür umso größer. Wie würdest du rückblickend die Aufgabe beschreiben? Welche Höhen und Tiefen kann so eine Aufgabe mit sich bringen?

Bernd Becker: Nun, ich hatte vielleicht den Vorteil, dass ich um die 10 Jahre als Evangelist an der Seite unseres damaligen Hirten Werner Kiefer mitarbeiten durfte und daher schon in etwa einen Einblick bekommen habe ins „Vorsteherleben“. Nach einer solchen Aufgabe streckt man bestimmt nicht seine Hand aus und man fühlt sich dieser Anforderung nicht gewachsen. Und dann empfindet man, dass man getragen wird von unserem lieben Gott und den Mitbrüdern und Geschwistern. Eine Aufgabe ist zum Beispiel, eine herzliche Nähe zu den Mitbrüdern, Geschwistern und Gästen zu gewinnen und zu erhalten. Eine „Höhe“ ist unter anderem, bei aller Bescheidenheit, wenn man merkt, dass unser lieber Gott, besonders im Gottesdienst, einem die Worte in den Mund legt. Und wenn Brüder und Geschwister Aufgaben und Erfordernisse sehen und tätig werden, ohne dass man sie lange darum bitten müsste. Und eine „Tiefe“ ist, wenn Geschwister aus anderen Regionen in den Gemeindebereich ziehen und es einem nicht gelingt, sie zum Besuch der Gottesdienste und des Gemeindelebens zu ermuntern und anzuregen.

Redaktion: Lieber Marcus, nach nun fast 5 Jahren „an der Spitze“ – wie würdest du die Gemeinde Schöneberg beschreiben? Was zeichnet sie aus? Wie hat sich die Gemeinde entwickelt?

Marcus Wieczorreck: Schöneberg ist Schöneberg. Eine Gemeinde mit langer Tradition, in die ich hineingeboren wurde. Solch einen „Tanker“ bringt man nicht so einfach von seinem Kurs ab. Es war auch gar nicht meine Absicht, alles neu zu machen. Ich würde die Gemeinde als sehr lebendig beschreiben, trotz ihrer langen Tradition. Sie ist in der Lage, aufgrund ihres Glaubensfundamentes, sich in neue Situationen hineinzufinden, z.B. neue Vorsteher, neue Gemeindemitglieder. Aber auch als Bestandteil einer neuen Gemeinde sehe ich eine starke Zukunft für die Gemeinde Schöneberg. „Bewährtes bewahren und Neues wagen“, das ist eine zutreffende Beschreibung unserer Gemeinde. Die Entwicklung der Gemeinde würde ich als rasant bezeichnen. Besonders in den letzten beiden Jahren haben regelmäßig Eheschließungen und Heilige Wassertaufen stattgefunden. Gerade die jungen Erwachsenen engagieren sich sehr stark in der Gemeindearbeit. Mitten in Berlin angesiedelt spüren wir natürlich auch, dass das Umfeld nicht einfacher wird. Manch junge Familie liebäugelt damit, in das Umland zu ziehen und dort ihren Lebensmittelpunkt zu suchen.

Redaktion: Nicht nur die Gemeinde hat sich entwickelt, auch du als Vorsteher hast sicherlich Veränderungen erlebt. Wenn du dich einmal kritisch selbst betrachtest, was ist der Punkt, wo du noch Entwicklungspotenzial bei dir siehst?

Marcus Wieczorreck: Ich sehe überall Entwicklungspotential bei mir selbst und bin auch eher ein Mensch, der sich gerne weiterentwickelt. Es gibt selten Patentrezepte für alle Lebenssituationen, sondern vieles muss individuell betrachtet werden. Trotz allem verläuft das Leben und die Arbeit jedoch in den Schranken von Gesetz und Evangelium. Immer die Kraft zu haben, auf der Grundlage von Gesetz und Evangelium, für jede individuelle Situation in der Gemeinde die richtige Entscheidung zu treffen, bedarf sicherlich noch der einen oder anderen Steigerung.

Redaktion: Lieber Bernd, was zeichnet die Wilmersdorfer deiner Meinung nach aus?

Bernd Becker: Nach meinem Empfinden ist Wilmersdorf eine eher unkomplizierte, fast familiäre Gemeinde mit viel Toleranz in Bezug auf die unterschiedlichsten Lebensstile der Geschwister. Aufgrund des Wegzuges nicht weniger Brüder und Geschwister in den letzten Jahren, auch zum Teil mit Aufgaben als Dirigenten und Orgelspieler, haben wir eine vielleicht nicht ganz so ausgeprägte „Gemeindeidentität“. An dieser Stelle noch einmal unseren Herzensdank für die jahrelange, freundliche Schöneberger Unterstützung, besonders mittwochs, wo keine Wilmersdorfer Orgelspieler zur Verfügung standen.

Redaktion: Wenn wir uns einmal weg von den einzelnen Gemeinden bewegen, hin zur Kirche im Allgemeinen: Wie seht ihr generell die Entwicklung der Kirche?

Marcus Wieczorreck: Ich sehe die Entwicklung der Kirche sehr positiv. Das hängt vorrangig mit unserem Stammapostel zusammen, der der Kirche organisatorisch und geistlich starke Impulse setzt. Hier gilt es dann auch, mitzugehen und ihm nachzufolgen. Das große Problem für uns ist doch, dass es uns schwerfällt, über unseren Tellerrand zu blicken. Dann würden wir nämlich erkennen, dass sich die Kirche sehr stark weiterentwickelt und wir aufpassen müssen, dass wir nicht abgehängt werden. Die „Musik“ spielt immer dort, wo die Liebe zu Gott die Motivation unseres Handelns ist. Und Gott offenbart sich durch sein Wort, welches durch die Apostel verkündet wird. Also müssen wir unseren Aposteln zuhören, um auf dem aktuellen Stand des Heilsplans Gottes zu sein.

Bernd Becker: Unser Stammapostel hat in vielfältiger Weise erläutert, dass es nicht zielführend ist, den in unseren Regionen vielleicht zahlenmäßig sinkenden Gottesdienstbesuch zu betrachten oder sogar zu beklagen. Vielmehr erwähnte er im Gottesdienst am 8. März 2020 in Bremen (UF Nr. 14 vom 20. Juli 2020): Was soll denn unser Erfolg sein, liebe Geschwister? Dass die ganze Welt neuapostolisch wird, wir in jeder Stadt, in jedem Dorf eine volle Gemeinde haben? ... Unser Erfolg ist, am Tag des Herrn sagen zu können: „Gott sei Dank, es ist vollbracht! Wir haben getan, was er uns gesagt hat, und unter allen Bedingungen den Willen Gottes bis zuletzt erfüllt“.

Redaktion: Wie könnte man aus eurer Sicht Kirche attraktiver machen?

Bernd Becker: Kirche besteht aus einer Vielzahl von Geschwistern und Gästen und attraktiv heißt anziehend. Insofern darf ich mir die Frage stellen: bin ich (seelisch) attraktiv für meinen Nächsten? Ziehe ich ihn an durch mein mildes und verständnisvolles Wesen? Fühlt er sich in meiner Nähe wohl? Geht er aus sich heraus, weil er weiß, dass er sich bei mir aufgehoben fühlt? Bin ich ihm eine Hilfe, dass er sein Vertrauen auf unseren Himmlischen Vater setzen kann?

Marcus Wieczorreck: Ich finde, dass unsere Kirche sehr attraktiv ist. Die Attraktivität einer Sache hängt ja immer davon ab, was man von der Sache erwartet. Sucht man eine Kirche, in der man Gottfinden und selig werden kann, dann ist die Neuapostolische Kirche sehr attraktiv und genau die richtige. Das Schöne daran ist doch, dass wir alles dafür tun, um das Heil, das Jesus Christus den Menschen angeboten hat, in den Vordergrund zu stellen. Die Kirche verfolgt genau ein Ziel, die Gläubigen auf den nächsten Meilenstein des Heilsplanes Gottes vorzubereiten, die Wiederkunft Jesu Christi. Da gibt es wenig WischiWaschi und das ist gut so!

Redaktion: Gehen wir mal davon aus, es ist kurz vor dem 20.09.2015 und du, lieber Marcus stehst kurz vor deinem ersten Vorsteher- Auftrag – allerdings mit der Erfahrung von heute: Würdest du bestimmte Schwerpunkte anders setzen um Kirche und speziell Schöneberg noch attraktiver zu machen?

Marcus Wieczorreck: Die Frage suggeriert ja bereits, dass die Kirche und speziell Schöneberg bereits attraktiv sind. Ich glaube nicht, dass ich etwas anders machen würde. Wie bereits erwähnt, ist unser Spielraum Gesetz und Evangelium, das ist auch für mich der Leitfaden. Man muss auch nicht jeder neuen Idee und jedem neuen Trend hinterherlaufen.

Redaktion: Nun stehen wir ja unmittelbar vor der Zusammenlegung der Gemeinden. Gibt es etwas, dass ihr euch von der Gemeinde wünscht? Und was wünscht ihr der neuen Gemeinde für die Zukunft?

Marcus Wieczorreck: Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam an einem Strang ziehen und unser Glaubensziel immer in den Vordergrund stellen. Hinzu kommt, dass ich mir eine offene Kommunikation in beide Richtungen wünsche. Der Gemeinde wünsche ich, dass sie immer enger zusammenrückt und die Differenzen, die manchmal offenbar werden, überwindet. Hierbei ist jeder einzelne gefordert, sich zu beteiligen. So, wie Jesus uns liebt und alles für uns tut, wollen wir auch unserem Nächsten begegnen.

Bernd Becker: Es ist vielleicht wie in einer Familie: Es sind schon Kinder da und es wird ein neuer Erdenbürger erwartet und dann stellt sich heraus, dass es sogar mehrere neue Erdenbürger sind, vielleicht Zwillinge, für die Kinder eine neue Schwester, ein neuer Bruder. Und dann kommt die Frage auf bei den Eltern und den bereits vorhandenen Kindern: Wie sollen wirdas nur schaffen? Die neuen Babies haben eigentlich alles: eine frische Windel, einen lustigen Schlafanzug, sie haben gut getrunken und eigentlich müssten sie ganz zufrieden sein. Aber sie weinen und keiner weiß, warum. Da hilft nur eines: auf den Arm nehmen, sie trösten, mit ihnen reden, versuchen, sie zu beruhigen und siehe da, es wird. Das Bauchweh hat sich im wahrsten Sinne des Wortes in Luft aufgelöst. Nicht umsonst sagen wir zueinander Schwester und Bruder. Ich meine, das gilt für uns alle.

Redaktion: Zum Abschluss die wohl wichtigste Frage: Wie lautet euer Lieblingwitz?

Bernd Becker: Ein junges, frisch vermähltes Ehepaar ist noch dabei, sich um die letzten Einrichtungsgegenstände für die neue Wohnung zu kümmern. Die junge Ehefrau will ihren Mann, der auf einer Dienstreise ist, mit einem neuen Kleiderschrank überraschen. Sie besorgt das gute Stück bei Ikea und baut ihn am folgenden Tag nach besten Wissen und Gewissen zusammen. Allerdings hat sie nicht mit dem unten auf der Straße regelmäßig vorbeifahrenden Linienbus gerechnet. Durch die von dem Bus erzeugten Erschütterungen des Gebäudes – rrrums – fiel das gute Stück einfach zusammen. Jetzt wird‘s eng. Der liebe Ehemann wird heute Abend von seiner Dienstreise zurückerwartet. In ihrer Not wendet sie sich an den netten Nachbarn und bittet ihn um Hilfe. „Das haben wir gleich, das bekommen wir hin“, und gemeinsam bauen sie den Schrank wieder zusammen. Jetzt steht er und er sieht auch gut aus. Da fährt unten der Bus wieder vorbei und – rrrums – stürzt der Schrank wieder in sich zusammen. Jetzt ist guter Rat teuer, aber der Nachbar hat eine Idee: „Wir bauen ihn jetzt noch einmal zusammen und dann stelle ich mich in das Innere des Schrankes und kann dann genau erkennen, wo sich die Schwachstelle befindet, wenn der Bus unten vorbeifährt“. In diesem Moment wird die Wohnungstür aufgeschlossen, der Ehemann ist zurück. Er freut sich, seine liebe Frau wiederzusehen und sieht sogleich, dass ein neuer Kleiderschrank dasteht. Er ist freudig überrascht, geht zum Schrank, macht eine der Türen auf und – sieht den Nachbarn im Kleiderschrank stehen. „Was machen Sie denn hier“? „Sie werden es mir nicht glauben, aber ich stehe hier und warte auf den Bus“. (überliefert von unserem Priester im Ruhestand, Kurt Scholz, heimgegangen am 01.05.2018)

Marcus Wieczorreck: Ich kenne nur Witze, die man nicht aufschreiben sollte.

Vielen Dank, ihr Lieben für dieses Interview!


17.08.2020
Redaktion
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